Das Mittelalter (800 - 1400)
Die christlichen Kreuzzüge, die von Zentraleuropa gegen die im östlichen Mittelmeergebiet geführt wurden, brachten die Ritter mit den verfeinerten Eßgewohnheiten der Orientalen in Kontakt. Sie brachten die Gewürze mit undbegründeten Handelsbeziehungen, die ständig steigend den Import der Gewürze nach Zentraleuropa förderten.
In Italien war eine der besonders hervorragende Stätten naturwissenschaftlicher und ganz besonders medizinischer Lehre das Benediktinerkloster von Monte Cassino.
Die Benediktinermönche, denen die Urbarmachung des Landes und der Gartenbau Ordenspflicht waren, zogen von ihrem Stammkloster auf dem Monte Cassino über die Alpen nach Deutschland und brachten viele heilkräftige Pflanzenarten mit, die besonders der Mittelmeerflora angehörten und die von den Völkern Vorder-asiens angebaut wurden. Diese Pflanzen fanden bald in größerem Ausmaß nördlich der Alpen Verbreitung. Der "Vita Caroli Magni" entnehmen wir, daß Karl I. (768 - 814) die Mönche seines Reiches veranlaßte, sich mit der Heilkunst zu beschäftigen und Arzneipflanzen anzubauen.
Zur Zeit Karls des Großen, war es üblich, politische, rechtliche und wirtschaftliche Anweisungen zu geben, die in Kapitel (Capitula) gegliedert waren; so gibt es Erlasse 779 von Herstal, die "Admonita generalis" von 789 sowie das Aachener Capitular von 802. Eine besondere Stellung nimmt das "Capitulare Caroli Magnum de villlis vel curtis imperialibus" (kurz oft Capitulare oder Capitulare de villis genannt) ein, das auf Veranlassung Karls I. wahrscheinlich zwischen 792 und 800 n. Chr. verfaßt wurde.
Dieses "Gesetz" enthält in 70 Kapiteln genaueAnweisungen für die Krongüter und Klöster. "Volumus quod in horti omnes herbas habeant", stand voran.
Es werden personelle, organisatorische, wirtschaftliche und landwirtschaftliche Anweisungen gegeben.
Im letzten Kapitel , dem 70. heißt es:
"Wir befehlen: daß sie in den Gärten die Kräuter haben, nämlich
Lilien Schwarzkümmel Runkelrüben
Rosen Weißer Senf Haselwurz
Bockshornklee Gartenrauke Eibisch
Frauenminze Kresse Malven
Salbei Klette Karotten
Raute Poleiminze Pastinaken
Eberraute Myrrhendolde Melde
Gurken Petersilie Mauskraut
Melonen Sellerie Kohlrabi
Kürbisse Liebstöckel Kohl
Faseolen Sadebaum Zwiebeln
Kreuzkümmel Dill Schnittlauch
Rosmarin Fenchel Porree
Feldkümmel Endivie Rettich
Kichererbsen Weißwurz Schalotten
Meerzwiebel Senf Lauch
Schwertlilien Bohnenkraut Knoblauch
Schlangenwurz Brunnenkresse Krapp
Anis Minze Kardendistel
Coloquinten Krauseminze Pferdebohnen
Heliotrop Rainfarn Kichererbsen
Bärenwurz Katzenminze Koriander
Sesel Tausendgüldenkraut Kerbel
Salat Schlafmohn Wolfsmilch
Muskat Salbei;
und soll der Gärtner über seinem Hause Hauslauch (Donnerkraut) haben."
Viele von den genannten Pflanzen wurden zur damaligen Zeit Heilkräfte, aber auch mythische Kräfte nachgesagt. Sicher ist, daß ein so bestückter Kräutergarten auch in der Gegenwart ziemlich komplett wäre.
Eine Ausführung des "Capitulare", das besonders für Südwestfrankreich Geltung besaß, liegt wahrscheinlich dem Bauplan des Klosters St. Gallen vom Jahre 820 vor, in dem, neben weiteren Gebäuden, die Anlagen eines Arzthauses mit Krankensaal und Schröpfstube, auch der Grundriß eines Kräuter- und Küchengartens sowie eine Kräuterkammer eingezeichnet sind. Unmittelbar hinter der Arztwohnung, in der nordöstlichen Ecke des Klosters, lag der Kräutergarten.
Er war in 16 Beete eingeteilt und jedes Beet mit dem Namen der darauf anzubauenden Pflanzenart versehen.
Für den Kräutergarten (herbularius) waren die folgenden Arten vorgesehen:
lilium : Lilium-spec.. (wahrscheinlich handelt es sich um Lilium cancidum L., Weiße Lilie)
rosa : Posa-spec., Rosenarten (nach Tschirch war es vielleicht R. rubiginosa L., Weinrose, Gemeiner Hagedorn genannt)
salvia : Salvia-spec., Salbeiarten;
ruta : ruta graveolens L., Weinraute
pulegium : Mentha pulegiumL., Poleiminze;
fenagraeca : Trigonella
foenum-graecum : Griechisches Heu, Bockshornklee;
sisimbria : Sisymbrium officinale (L.) Scop., Wegrauke, Wilder Senf;
cumino : Cuminum cyminum L., Kreuzkümmel;
lubestica : Levisticum officinale Koch, Liebstock;
feniculum : Foeniculum vulgare Mill., Fenchel;
costo : Chrysanthenum balsamita L., Frauenminze;
menta : Mentha-spec., Minzearten;
rosmarino : Rosmarinus officinalis L., Rosmarin;
fasiolo : Phaseolus-spec., Bohnenarten;
sataregia : Satureja hortensis L., Bohnenkraut;
Es handelt sich demnach mit Ausnahme von "fasiolo", von denen nur die Hülsen in der Heilkunde Verwendung finden, um Kräuter, die zum Teil noch heute für arzneiliche Zwecke angebaut werden.
Der Küchengarten enthielt folgende Arten:
cepos : Allium cepa L., Schlafmohn;
porros : Allium porrum L., Porree;
apium : Apium graveolens L., Sellerie;
coliandrum : Coriandrum sativum L., Koriander;
anetum : Anethum graveolens L., Dill oder Pimpinella anisum L., Anis;
papaver : Papaver somniferum L., Schlafmohn;
radices : Raphanus sativus L., Gartenrettich;
magones : Mohrrüben;
betas : Beta-spec.; wahscheinlich Mangold;
alias : Allium sativum L., Knoblauch;
ascolonias : Allium ascolonicum L., Schalotte;
petrosilium : Petroselinum crispum (Mill.) Nym. ex Hort. Kew., Petersilie;
cerefolium : Anthriscus cerefolium (L.) Hoffm., Gartenkerbel;
lactuca : Lactuca-spec., Salatarten;
sataregia : Satureja hortensis L., Bohnenkraut;
pastinochus : Pastinaca sativa L., Pastinake;
caulas : Brassica oleracea L., Gemüsekohl;
gitto : Nigella sativa L., Schwarzkümmel.
Fast zur gleichen Zeit schreibt Walafridus Strabo, 842 Bendiktinerabt des Klosters Reichenau (Bodensee), ein vielbewundertes lateinisches Lehrgedicht über die Kräuter seines Gartens "Hortulus" ( De cultura hortorum), worin er die Kräfte von 23 Heilpflanzen besingt, die damals in Gärten angebaut wurden. Darin sind 18 Artenaus dem "Capitulare" und außerdem noch 5 weitere, die schonin der Naturgeschichte des Plinius vertreten sind, enthalten.
Es ist das erste botanische Dokument aus alter deutscher Zeit, das sich mit dem Anbau und der Pflege der Nutz- und Heilkräuter befaßt.
Besonders ist noch die Heilmittellehre zu erwähnen der Äbtissin Hildegard von Bingen (etwa 1098 - 1179): ""Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum" (Buch von dem inneren Wesen der verschiedenen Naturen der Geschöpfe), in der Literatur häufig kurz "Physica" genannt (1150) ; ihr Werk enthält die Anfänge einer deutschen Pflanzen- und Tierkunde. Im 2. und 3. Buche ihrer "Physica" ist eine Aufzählung von über 250 deutschen und in Deutschland einheimisch gewordenen "Gräsern, Kräutern und Früchten" mit ihren Nährwerten und Heilkräften in althochdeutscher Sprache enthalten.
Diese vier Quellen geben einen Überblick über die vor mehr als1.000 Jahren verfügbaren Kräuter; teilweise werden die Namen von Kräutern wiederholt, teils ergänzt. Soweit der Anbau und der Gebrauch von Kräutern betroffen ist, kann man feststellen, daß bis heute nur wenige hinzugekommen sind - sieht man von Züchtungen ab.
Der Beginn der Kreuzzüge im 11. Jhdt. ist auch der Beginn einer neuen Blüte des Gewürzhandels: die Eroberer brachten Zimt, Muskatnuß, Muskatblüte, Koriander, Rosen- und Orangenwasser sowie Mandeln mit. Eine Neubelebung des Handels mit Gewürzen begann, Venedig war der Importhafen für ganz Europa.
Geoffrey Chaucer (1340 - 1400) erwähnt in seinen "Canterbury Tales" Ingwer, Lakritze, Nelken und Muskatnüsse
In dieser Zeit nahmen die Gewürze des Fernen Ostens mehrere Wege:.
Der Seeweg des Mittelalters
Von Indonesien transportierten chinesische und malaiische Boote die Gewürznelken und Muskatnüsse nach Ceylon. Persische und ägyptische Kaufleute übernahmen diese und die aus Indien stammenden Gewürze - Pfeffer von der Malabarküste und Ingwer - und brachten sie durch das Rote Meer nach Alexandrien. Dort kauften die venezianischen Kaufleute, um die Güter über Venedig auf dem Landweg in das mittlere und nördliche Europa zu verkaufen; mit Schiffen brachten sie die Waren Richtung Westen: über Palermo auf Sizilien fuhren sie die spanischen Häfen an, segelten weiter über Gibraltar nach Portugal, die Westküste Frankreichs, Flanderns und England.
Die zwei Gewürzstrassen des Mittelalters
Von Chinesisch-Turkestan durch Zentral- und Vorderasien führten die Kamelkarawanen nach Basra am Persischen Golf, dann durch Persien nach Täbris, über Armenien in das russische Rostow.
Der zweite Weg kam aus dem indischen Industal über den Khaiberpass nach Kandahar in Afghanistan, Usbekistan bis Astrachan und dann den Kaukasus entlang nach Asow und Rostow.
Zwischen 1200 und 1400 gründete Venedig seinen Reichtum durch Gewürz-, Seiden- und Ölhandel, es war mit 200 000 Einwohnern die größte Stadt des Abendlandes. Eine der damaligen europäischen Gewürzstraßen ging von dort über den Brenner nach Innsbruck, dann nach Basel, rheinabwärts bis zur Nordsee und nach England; die andere Straße von Innsbruck über Augsburg, Nürnberg, Leipzig in die Handelszentren des Nordens (Lübeck) und Nordostens bis nach Nowgorod.
Diese Blütezeit Venedigs wurde durch zwei Ereignisse beendet: zu Ende des 15. Jahrhunderts fanden die Türkenkriege statt, wodurch der Orienthandel zum Erliegen kam; auch durch die Eroberung Konstantinopels durch Mohammed II. und die Vorherrschaft der Ottomanen im östlichen Mittelmeer wurde Venedig aus dem Handel mit Waren des Orients - Seide, Tuche, Edelsteine und Gewürze - gedrängt.
Der zweite Grund lag in der Entdeckung des Seeweges nach Fernost durch Vasco da Gama.
Albert von Lauingen (1193 - 1280) aus Schwaben (Graf von Bollstädt ), den seine Zeitgenossen den Doctor universalis, die Nachwelt Albertus Magnus nennt, muß noch erwähnt werden. Nach seiner Abdankung als Bischof von Regensburg widmete er sich wissenschaftlichen Arbeiten. Unter den Naturforschern der scholastischen Periode ragt er besonders hervor. In seinem um 1240 geschriebenen Werk "De virtutibus herbarum, lapidum et animalium" setzte er sich mit der Theorie des Gartenbaus auseinander und und legte damit Richtlinien fest, die mehrere Jahrhunderte nachwirkten. Im Kapitel "De vegetabilibus libri VII" widmet er sich auch Fragen des Pflanzenbaues einschließlich der Heilpflanzenkultur, die in keinem angelegten Garten fehlen durften.
Sein Schüler Thomas de Cantimpré (1201 - 1270) leitet zu Konrad von Megenberg (1309 - 1374) über; er beendete im Jahre 1350 sein berühmtes "Buch der Natur", die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache. Es handelt sich hierbei um eine selbständige deutsche Bearbeitung des "Liber de natura rerum" des Thomas de Cantimpré. Das Werk wurde bis 1540 mehrfach gedruckt und trug wesentlich zur Verbreitung der Kenntnisse über die Heilwirkung verschiedener Kräuter bei und diente somit auch der Ausbreitung der Arzneipflanzengewinnung.
Aus dem Jahr 1390 liegen Aufzeichnungen vor, die dem Küchenmeister des englischen Königs Richard II. zugeschrieben werden; unter dem Titel "Douce Ame" (= Süßer Atem) findet sich das folgende Rezept:
Man nehme gute Kuhmilch und gieße sie in den Topf, dann nehme man Petersilie, Salbei, Ysop, Pfefferkraut und viele andere Kräuter mehr, tue sie in die Milch und koche. Man nehme gebackene Kapaune, hacke sie klein und gebe reinen Honig dazu. Nun wird das Ganze gesalzen, mit Safran schön gefärbt und aufgetragen.
1393 erschien in Paris das erste französische Kochbuch "Le menagier de Paris"
Im wesentlichen waren es die Klostergärten, aus denen sich der deutsche Heil- und Gewürzpflanzenbau im Laufe der Jahrhunderte zur Feldkultur entwickelte und von denen die Kenntnis vom Heilwert der Pflanzen ausging.
Wie die Mönche in ihren Klostergärten, so bauten später auch die Apotheker in ihren Gärten Arzneipflanzen an und standen in Verbindung mit den Kräutersammlern im Lande. Apotheker, Olitätenhändler, Kräutersammlern und -händlern ist es in erster Linie zu verdanken, daß nach und nach viele in den deutschen Gauen wildwachsende Heilpflanzen im Laufe der Jahrhunderte in Kultur genommen wurden.
Die Apothekengärten haben sich lange erhalten. Nicht nur in Deutschland, in allen Kulturstaaten waren sie zu finden. Die Schleswig-Holstein-Dänische Apothekenordnung von 1672 schrieb sogar noch Kräutergärten bei den Apotheken vor.
1298 erschien das Buch von Marco Polo, in dem er seinen 17jährigen Aufenthalt in China beschreibt; dieses Buch wurde in ganz Europa zur Kenntnis genommen und gab Anlaß, nach anderen Wegen zu den Gewürzen zu finden.
Aus dem 14. und 15. Jhdt. sind aus dem europäischen Raum mehr als 100 Handschriften bekannt, die kulinarische Rezepte enthalten. Selbstverständlich ist der Bekanntheitsgrad und die Verwendung von Gewürzen abhängig von der sozialen Stellung: in adligen Haushalten oder bei reichen Bürgern sind andere Gewürze in Gebrauch als bei den weniger Begüterten oder auf dem Lande; Untersuchungen stellten fest, daß etwa 10% der Ausgaben für Ernährung für Gewürze ausgegeben wurden. Deutlich ist jedoch zu erfahren, daß die Eßkultur bei allen Ständen Würzmittel in mehr oder minder großem Maße voraussetzte. Dabei fallen der Verwendung von Gewürzen nicht nur geschmackliche Beeinflussungen zu, sondern mit besonderer Betonung werden sie zur Förderung der Verdauung oder sogar aus medizinischen Gründen empfohlen.
In diesen Rezepten finden sich:
Zimt und Cassia, Ingwer, Galgant, Pfeffer, Muskatnuß, Muskatblüte, Nelken, Malaguettapfeffer (Paradieskörner), Safran, Kardamom; von den Küchenkräutern standen im Wesentlichen jene zur Verfügung, die im "Capitulare de villis" genannt sind.